Ein Besuch im Altenheim

Kommunikation in Zeiten der Covid-19 Pandemie

Das ist wie im Zoo

Die Tante drinnen, ich draußen, seit März ist die Tür in das Altenheim meiner Tante verschlossen. Besuche sind untersagt. Es ist nicht erwünscht, dass die Bewohner das Haus verlassen. Sechs Wochen später wird der Vorschlag, einen gemeinsamen Spaziergang in den  Park zu machen, von der Pflegedienstleitung ablehnend beantwortet:

15.05.2020: Ein Bewohner, welcher das Haus verläßt,  muß ab sofort inhäusig unbedingt immer seine Mundnasenmaske tragen und kann nicht mehr an gemeinsamen Mahlzeiten und auch nicht allen Aktivitäten teilnehmen.

Verständlicherweise verzichtet die Tante auf den Spaziergang. Die Konsequenzen, Einsamkeit und Luftnot unter der Atemmaske, sind zu hart. Auch möchte sie den Altenpfleger*Innen keine Schwierigkeiten machen.

Im Mai wird ein Zusammentreffen im Freien, am Zaun des Altenheims, ermöglicht. Die Tante sagt: “Das ist wie im Zoo.

In der Folgezeit werden Besuche mit Anmeldung zu bestimmten Terminen, 45 Minauten lang, gestattet. Wie läuft ein solcher Besuch ab?

Die Besucher*Iinnen, so wie ich, melden sich an der Pforte, die Anmeldung wird überprüft, dann Warten im Konferenzraum. Eine Mitarbeiterin des Hauses misst wortlos allen Wartenden die Temperatur. Es folgt die Einweisung in harschem Ton: “Folgen Sie mir, 1,5 Meter Abstand halten, Nasen-Mundschutz nicht absetzen, nichts anfassen, keine Anreichungen, keine Extratouren…” Mit gesenkten Köpfen folgen die Besucher *Innen der Ansagerin, alle gehorsam, kein Widerwort.  Alle wollen zu ihren Angehörigen.

Das Gefühl, ein unwillkommener Gast zu sein, breitet sich aus. Will ich etwas Unerhörtes? Mach ich durch meinen Besuch das Leben unnötig schwer? Der Gedanke, dies nie mehr wieder zu tun, besetzt mich. Tatsächlich gelange ich nach einiger Zeit zur Wohnung der Tante. Begleitet von den erneuten Ermahnungen: “Sie fassen nichts an, keinen Tee kochen, immer mit Mund-Nasenschutz“, trete ich ein.

Die Tante erkennt mich mit Maske nicht. Wir haben noch 40 Minuten Zeit. Ich lege blitzschnell alle Irritationen zur Seite und strenge mich sehr an, eine Kommunikation auf die Beine zu stellen. Uns helfen die aufgeschriebenen Erinnerungen eines Onkels, die auf dem Tisch liegen. Tatsächlich beginnt die Tante zu sprechen, zuerst stockend, dann immer flüssiger, sie erzählt von den Kriegsjahren. Sie geht auf Fragen von mir ein. Kurz fühlen wir uns wohl. Dann werde ich unruhig, denn die Zeit schreitet voran, unsere Uhr ist abgelaufen. “Ich muss jetzt gehen, so verlangt es die Ordnung“, sage ich und schon steht eine Ordnerin in der Tür, die mich aufmerksam macht, dass die Zeit vorüber sei. “Schade, jetzt, wo wir uns so gut unterhalten“, sagt die fast hundertjährige Tante und ich denke: “Schade. Ob wir uns wohl wieder sehen?

Was passiert da gerade in unserer Gesellschaft? Bis heute, den 2. Juli 2020, ist nicht absehbar, wann sich dies ändert.

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