Medizinische Vielfalt für die Praxis begreifbar machen
19. Jahrestagung der Thure von Uexküll-Akademie für Integrierte Medizin (AIM) in Innsbruck (Österreich) – 28.-29. April 2017
Eine gute Fotografie schafft zweierlei: Sie reduziert – technisch bedingt und notwendig – einen komplexen dreidimensionalen Raum auf zwei Dimensionen, lässt aber gleichzeitig diese dritte Dimension nicht einfach verschwinden, sondern im Betrachter neu entstehen. Man sieht in das Bild hinein, fühlt sich in der Szene, sieht Tiefe, obwohl man außen vor ist. Ein gutes Foto schließt den Betrachter mit ein, und ein guter Betrachter schließt sich in das Foto mit ein.
Eine gute Ärztin oder ein guter Arzt sind dazu im Idealfall auch in der Lage. Die medizinisch manchmal notwendige Reduktion auf technische Prozesse sollte nicht zum Verlust von Dimensionalität bei unseren Patienten führen. Leider ist das oft genug der Fall. Das derzeit vorherrschende Medizinparadigma behandelt den Menschen wie ein offenes Modell, wie ein Uhrwerk – mechanisch, berechenbar, durchschaubar, verallgemeinerbar. Diese Sichtweise mag durchaus von Nutzen sein, nämlich dort, wo schnelle Hilfe angesagt ist und höchste Präzision und Effizienz Menschenleben retten kann. Das betrifft aber nur einen Teilbereich der Medizin. Die meisten Begegnungen mit Patienten sehen anders aus; binnen Sekunden entstehen wirksame und wirkmächtige Bilder in uns, die wir für wirklich im Sinne von wahr halten. Aber sind sie das wirklich?
Vereinfachung und Komplexität sind zwei Pole, die einander nicht ausschließen, sondern zwischen denen man hin –und herpendeln muss, stets mit der Umsicht, wo man sich gerade befindet.
Längst ist aus einer Vielzahl von Ergebnissen der Systemforschung bekannt, wie komplex menschliches Leben und wie schwierig damit auch dessen Abbildung ist. Darf eine den Menschen vereinfachende, reduzierende Haltung diese Fortschritte übersehen? Was sind die langfristigen Folgen einer maschinen-orientierten Denkweise in der Diagnostik und Behandlung von Patienten? Und was kann man umgekehrt erwarten, würde man eine auf Komplexität ausgerichtete Medizin betreiben?
Fragt die Ärztin: „Was haben Sie?“, erkundigt sie sich nach dem Befinden ihres Patienten. Fragt die Patientin hingegen: „Was habe ich?“, erkundigt sich diese nach ihrem Befund. Der Befund ist wie die Überschrift eines Textes, die radikalste Form des Reduktionismus, ein Verweis, eine Andeutung auf etwas Höherkomplexes. Die Bedeutung erschließt sich erst in einem zweiten Schritt. Und so kann ich mit meinem Patienten über seinen Befund oder sein Befinden sprechen, das sind zwei unterschiedliche Dimensionen. Beides muss ich können – und wollen!
Diesen durchaus komplexen Fragen wollen wir auf der 19. Jahrestagung der Thure von Uexküll-Akademie für Integrierte Medizin (AIM) in Innsbruck (Österreich) nachgehen. Vereinfachung und Komplexität sind zwei Pole, die einander nicht ausschließen, sondern zwischen denen man hin –und herpendeln muss, stets mit der Umsicht, wo man sich gerade befindet. Wie in unserem guten Foto muss man sich manchmal erst daran erinnern, dass unsere Sicht auf die Welt ein Konstrukt ist.
Die ausschließliche Betrachtung des Menschen als Maschine halten wir für eine Irrung der Medizingeschichte, weil zu viele Dimensionen ausgeschlossen sind. Denn das Menschsein ist Einfach zu komplex für reduktionistische Modellvorstellungen.
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