Medizinphilosophische Überlegungen

Zwei Buchempfehlungen

Von Jürgen Harms

Jürgen Harms, Mitglied der Thure von Uexküll-Akademie für Integrierte Medizin (AIM), hat seinen medizinphilosophischen Ansatz und dessen praktische Anwendung in der Kasuistik nun auch auf Deutsch veröffentlicht. Er versteht seinen Ansatz als eine Ergänzung des Modells der AIM sowie umgekehrt das Modell der AIM als ergänzenden Teil in seinem Ansatz. Es erschienen von ihm zwei Bücher, das erste lehrbuchmäßig mit vielen Hervorhebungen und das zweite persönlicher geschrieben, über Schlüsselerlebnisse als Beispiele seines Leidens an den einschränkenden dualistischen Vorstellungen und über die Wiederbeseelung von Mensch und Welt, wie er sie später in der Phänomenologie des Menschseins fand.  Im zweiten Buch geht er auch ausführlicher als im ersten auf seine Erfahrungen im medizinischen Unterricht ein; er hatte in Seminaren mit Medizinstudenten erforscht, welche Unterrichtsmethoden zur Vermittlung eines nicht-dualistischen Verständnisses von Mensch und Welt geeignet sind.

Die Bücher:

Das AIM-Mitglied Harald Kamps schrieb die folgende Rezension über beide Werke:

Kann man noch Heidegger lesen? Besonders jetzt nach der Veröffentlichung der schwarzen Hefte, die zeigen, wie tief der Philosoph mit den totalitären Ideen Nazideutschlands verstrickt war? Ja, sagt Jürgen Harms, ein in Südafrika lehrender und lebender Psychiater. Er begründet dies mit zwei gerade erschienenen Büchern, die er gerne als Lehrbücher in die Gedankenwelt Heideggers anbieten will: geht es doch um ein „lebensnahes Verständnis des Menschen und der Welt, das auf ursprünglichen Erfahrungen“ beruht. Harms verweist besonders auf den von Heidegger 1953 gehaltenen Vortrag über „Die Frage nach der Technik“. Bereits hier wurde vor dem rechnenden und berechnenden Zeitgeist gewarnt – lange vor den Erfolgsmeldungen einer digitalen Medizin, die das menschliche Genom entziffert.
Harms will dazu beitragen, zwei Welten zu vereinen – das digitale Denken einer rationalen Naturwissenschaft und das analoge Nachdenken über das, was im menschlichen Leben wirklich wichtig ist. Für dieses Nachdenken hat Heidegger die phänomenologische Methode weiter entwickelt. Harms schreibt nicht als Philosoph, sondern als Arzt, der Menschen behandelt und als Universitätslehrer, der Medizinstudenten unterrichtet.
Das 2014 erschienene Buch (Mensch und Wissenschaft, […]) bezieht sich immer wieder auf eine Krankengeschichte, dieses zuletzt erschienene Buch verweist oft auf persönliche Erlebnisse. In beiden Büchern veranschaulicht er die phänomenologische Methode in einem Anamneseschema – hier fügt er dem Kranksein fünf Kategorien zu, die es zu ergründen gilt: der Zeit, dem Leib/Körper, den Menschen, den Dingen und dem Raum. Dabei ist Zeit die unmittelbar erlebte Zeit zum Beispiel in der Frage: wie viel Zeit bleibt mir noch im Leben? Der Leib/ Körper ist der unmittelbar erlebte Leib mit seinen oft bedrohlichen Symptomen. Die Menschen sind erfahrbar in den gemeinsamen Beziehungen – oft in krankmachenden Teufelskreisen verstrickt. Die Dinge werden noch in Naturdinge und Kulturdinge unterteilt und dann in ihrer heilsamen oder krankmachenden Bedeutung erforscht. Der Raum ist dann auch nicht der geometrische Raum, sondern die Lebenswelt, deren Atmosphären wir selbst gestalten – oder deren Opfer wir sind.
Für den Psychiater Harms war Heidegger ein inspirierender Begleiter seines langen professionellen Lebens. Er möchte diese Begeisterung gerne weitergeben, deshalb ist ein Teil der Bücher so konzipiert, dass sie als Materialien für den Studentenunterricht verwendet werden können. Zudem enthalten beide Bücher zahlreiche Verweise auf weitere Entwicklungen wie der Neuen Phänomenologie, des Sozialen Panoramas und der Systemtheorie, wie sie dem Autor in der Thure-von-Uexküll Akademie für Integrierte Medizin begegnet ist.
Es wäre bedauerlich, wenn die politischen Verirrungen Heideggers die heilsame, den „ganzen Menschen“ verstehende Philosophie verdecken würden. Harms hat zwei leicht lesbare Bücher geschrieben, die helfen, dies zu verhindern.

Soweit die Rezension. Hier noch eine zusätzliche Erläuterung:

Das Anamneseschema ist zugleich das Schema für den multidimensionalen Behandlungsplan. Das Schema dient durch seine übersichtliche Anordnung dazu, die Behandlung im Einzelfall individuell und umfassend zu entwerfen. Diese Anordnung macht sichtbar, von welchen Lebensbedingungen das Menschsein bzw. Kranksein des jeweiligen Patienten abhängt und wie sein Kranksein auf seine Lebensbedingungen zurückwirkt. Die Lebensbedingungen sind der Vollständigkeit halber in die genannten fünf Kategorien eingeteilt. So bietet sich dem Auge das Bild der jeweiligen zirkulären Wechselbeziehungen in der Dynamik einer System-Einheit mit vielfachen Subsystemen, die in fünf Kategorien eingeteilt sind.

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